551 Disziplinierungsversuche

551 Disziplinierungsversuche

Wider die politische Neutralität sozialer Organisationen

© istock/jacoblund

Dürfen gemeinnützige Organisationen politisch sein – oder müssen sie es sogar? Diese Frage ist längst keine theoretische mehr. In einer Zeit, in der zivilgesellschaftliches Engagement zunehmend unter politischen Rechtfertigungsdruck gerät, wird auch das Selbstverständnis sozialwirtschaftlicher Träger auf die Probe gestellt. Besonders in der Eingliederungshilfe, wo es um Teilhabe, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit geht, kann politische Zurückhaltung schnell zur Selbstverleugnung werden. Doch wer sich äußert, wer Haltung zeigt, riskiert heute mehr denn je: den Vorwurf der Parteilichkeit, die Drohung mit Entzug der Gemeinnützigkeit – und nicht selten eine mediale oder parlamentarische Schmutzkampagne. Der folgende Kommentar stellt sich gegen den Versuch, kritische Stimmen mundtot zu machen, und plädiert für eine selbstbewusste Zivilgesellschaft, die sich nicht auf das bloße „Leisten“ beschränkt, sondern ihre Verantwortung für die demokratische Kultur ernst nimmt.

Der Kommentar ist zuerst im Fachmagazin ORIENTIERUNG 3/2025 (S. 43-44) erschienen.


Wie politisch müssen, sollen, dürfen sozialwirtschaftliche Organisationen der Eingliederungshilfe sein? Oder sollten sie besser beim Leisten der Daseinsvorsorge bleiben? Teilhabeleistungen ohne Teilhabepolitik? Wer dieser Tage als gemeinnützige Organisation politisch ist, dem weht eine stürmische Brise entgegen.

So lautet die erbärmliche Erkenntnis aus diesem: Demokratische Parteien, die sich ihrer demokratischen Verfasstheit rühmen, gängeln jene Institutionen, die sich für die Demokratie engagieren. Im Namen einer fadenscheinigen Neutralität soll der Zivilgesellschaft ein Maulkorb umgelegt werden, als wäre der öffentliche Diskurs ein bissiger Hund, den man besser unter Verschluss hält.

Die Logik erscheint zunächst bestechend. Der Staat dürfe mit seinem Steuerprivileg nicht parteilich sein. Gemeinnützige Organisationen, die in den Genuss steuerlicher Vergünstigungen kommen, hätten sich gefälligst politischer Stellungnahmen zu enthalten. Das klingt nach ordentlicher Buchführung, nach sauberer Trennung der Sphären – und ist doch nichts anderes als die Aushöhlung des demokratischen Grundgedankens.

Der populistische Zeitgeist wittert hinter jeder kritischen Stimme bereits den berüchtigten "tiefen Staat" – jene „Schattenstruktur“, die angeblich im Verborgenen die Fäden zieht. Diese paranoide Vorstellung bedient sich des Neutralitätsgebots als Waffe, um unliebsame Kritiker zu demontieren. Eine groteske Verdrehung: Ausgerechnet im Namen der Demokratie soll die organisierte Gegenmeinung mit 551 Fragen, getarnt als Kleine Anfrage der CDU/CSU Bundestagsfraktion, zum Schweigen gebracht werden. Man wird doch noch mal fragen dürfen, oder?

Die bürokratische Fiktion einer "unpolitischen" Zivilgesellschaft offenbart einen geradezu totalitären Impuls. Als wäre es möglich, Umweltschutz zu betreiben, ohne umweltpolitische Positionen zu beziehen; als könnte man Menschenrechte fördern, ohne menschenrechtspolitische Standpunkte zu artikulieren. Diese künstliche Trennung ist eine begriffliche Chimäre, die nur dazu dient, das Unbequeme zu domestizieren.

Zwar hat der Bundesfinanzhof in seiner Auslegung des § 52 der Abgabenordnung differenziert. Eine gemeinnützige Organisation darf durchaus auf die öffentliche Meinung einwirken, solange dies ihren satzungsmäßigen Zwecken dient. Doch in der Praxis gerät diese Unterscheidung zur kafkaesken Willkür. Was bei den Wohlfahrtsverbänden grummelnd als legitim durchgewunken wird, gilt bei den „Omas gegen rechts“ als unzulässige politische Einmischung. So wird das Neutralitätsgebot zum Disziplinierungsinstrument gegen kritische Stimmen, während die Wohlgesonnenen noch unbehelligt bleiben.

Die lähmende Angst vor dem Verlust der Gemeinnützigkeit, der auch von rechts außen befeuert wird, erzeugt aber eine schleichende Selbstzensur. Organisationen, auch in der Eingliederungshilfe, verharren in vorauseilendem Gehorsam, während notwendige Debatten im Vakuum einer falschen Neutralität zu ersticken drohen.

Dabei braucht eine wehrhafte Demokratie nichts dringender als eine selbstbewusste Zivilgesellschaft, die ihre Stimme erhebt – nicht trotz, sondern wegen ihrer Gemeinnützigkeit. In Zeiten, da die demokratischen Institutionen unter Druck geraten, ist die organisierte Kritik kein Luxus, sondern Lebenselixier. Die demokratische Resilienz erwächst nicht aus staatlicher Verordnung, sondern aus dem engagierten Einstehen der Bürger:innen für ihre Überzeugungen. Deutschland war einmal stolz auf das Subsidiaritätsprinzip. Diese Widerstandsfähigkeit ist nicht die Schwäche, sondern die Stärke des demokratischen Gemeinwesens. Eine Demokratie, die ihre Kritiker zum Schweigen bringen will, hat bereits begonnen, sich selbst abzuschaffen.

 

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