Heute ist mehr Lametta

Heute ist mehr Lametta

Über Managementmoden im Nationalsozialismus und in der Demokratie

Stefan Kühls Buch „Führung und Gefolgschaft“ (Suhrkamp 2025) beleuchtet, wie Managementkonzepte im Laufe der Geschichte kommen und gehen und dabei immer wieder an die grundlegenden Prinzipien der Organisation und der Führung anknüpfen. Anhand des Harzburger Modells zeigt Kühl, wie sich Führungstheorien im Nachkriegsdeutschland entwickelten. Er arbeitet eine überraschende Nicht-Verbindung zum Nationalsozialismus heraus, obwohl der Verfasser des Harzburger Modells einer der Chefideologen der Nazis war. In dieser Studie geht es um mehr als nur historisch-soziologische Analysen: Kühl fordert uns heraus, aktuelle Managementtrends kritisch zu hinterfragen. Ein spannender Beitrag zur Diskussion über Sinnorientierung und Gemeinschaft in Organisationen und in Führungsansätzen.


Ob frisch aus dem Wald, vom Supermarktparkplatz oder als nachhaltiger Holzständer – ein Weihnachtsbaum ist als solcher immer erkennbar. Was sich jedoch ändert, ist seine Dekoration: Das Lametta folgt dem Zeitgeist. Gleichermaßen, so argumentiert Stefan Kühl in seinem Buch Führung und Gefolgschaft, verhält es sich mit Managementmoden. Sie schmücken die immer gleichen Prinzipien der Organisation neu aus, setzen Akzente, ohne deren Grundstruktur zu verändern. Moden vermögen zu begeistern und zu fokussieren, doch sie sind vergänglich.

Kühl zeigt anhand historischer Fallstudien, dass auch Managementkonzepte im Nationalsozialismus und in der Demokratie Moden sind, die sich ablösen, verwandeln und gelegentlich wiederkehren. Seine Untersuchung kreist um Brüche und überraschende Linien der Kontinuität, die in der Studie exemplarisch am sogenannten Harzburger Modell von Reinhard Höhn aufzeigt werden, das in der jungen Bundesrepublik für mehr als zwei Jahrzehnte den Managementdiskurs prägte. Das heute weitgehend vergessene Konzept der „Führung im Mitarbeiterverhältnis“ eignet sich besonders für eine solche Analyse, da dessen Erfinder zuvor einer der Chefideologen des NS-Staats war und das nationalsozialistische Führungskonzept maßgeblich beeinflusste.

Aufgrund dieser Personenidentität wurde lange die These vertreten, das Harzburger Modell sei ein direkter ideologischer Nachfahre nationalsozialistischer Führungskonzepte. Kühl widerlegt diese These und diagnostiziert statt einer Kontinuität eine radikale Umstellung in Höhns Denken: einen Bruch mit den Organisations- und Führungsprinzipien des Nationalsozialismus.

Während das nationalsozialistische Führungsverständnis stark auf Informalität setzte – etwa auf charismatische Führer, auf die Idee der Volksgemeinschaft und Sinnstiftung –, basiert das Harzburger Modell ausschließlich auf formalisierten Strukturen. Die Ziele des Unternehmens bilden den Ausgangspunkt. Mitarbeitende erhalten durch Delegation die Kompetenz, Aufgaben selbstständig zu bearbeiten. Nicht die Führungspersönlichkeit motiviert die Arbeit, sondern die Zielvorgaben. Die hierarchische Ordnung wird nicht durch persönliche Autorität, sondern über formale Positionen legitimiert. Besonders bedeutsam ist in diesem Konzept das Instrument der Stellenbeschreibung: Es definiert verbindlich den Handlungsspielraum, die Grenzen der Eigenverantwortung sowie die Modi der Kontrolle durch Vorgesetzte. Führungskräfte delegieren und kontrollieren, aber sie greifen nicht gestalterisch in die Arbeit der Untergebenen ein.

Zugleich identifiziert Kühl zwei Kontinuitäten: Sowohl das nationalsozialistische als auch das Harzburger Führungskonzept grenzen sich explizit vom autoritären Führungsstil ab. Die Gemeinsamkeit liegt jedoch allein in der Ablehnung des Autoritären, nicht in der Begründung: Während das NS-Konzept die Gefolgschaft in der Volksgemeinschaft verortet, die vom Führer repräsentiert wird, suchte Höhn mit seinem kooperativen Führungsstil einen Beitrag zur Demokratisierung zu leisten. Zudem beziehen sich beide Konzepte auf die preußischen Militärreformen unter General Gerhard von Scharnhorst. Für Höhn wurde diese Referenz in der Nachkriegszeit wieder möglich, weil Scharnhorst als Reformfigur in der Bundesrepublik rehabilitiert wurde.

Wie sich die persönliche Einstellungsänderung bei Höhn erklären lässt, reflektiert Kühl ausführlich im vorletzten Kapitel. Dieser analytisch starke, dramaturgisch aber unpassende Exkurs ersetzt nicht die fehlende Systematisierung und kritische Diskussion der Ergebnisse dieser Studie.

Eine spannende Nebenlinie eröffnet jenes Kapitel, in dem Kühl das Harzburger Modell mit dem zeitgleich in den USA entwickelten Managementkonzept von Peter Drucker vergleicht. Beide Modelle basieren auf der Steuerung über Ziele („Zweckprogramme“) und plädieren für einen kooperativen Führungsstil. Während Drucker sein „Management by Objectives“ für eine Sinnorientierung und den Gemeinschaftsgedanken öffnete, verweigerte sich Höhn dem Trend zur Informalität. So kann an dieser Gegenüberstellung dreierlei abgelesen werden: Erstens unterstreicht sie die These der Diskontinuität mit dem Nationalsozialismus. Zweitens zeigt sie Höhns Anschluss an einen internationalen Zeitgeist der 1950er- und 60er-Jahre. Und drittens wird deutlich, warum das Harzburger Modell später an Strahlkraft verlor: Höhn reagierte nicht auf den zunehmenden Wunsch nach Sinn und Gemeinschaft in Organisationen und verpasste damit den Anschluss an Entwicklungen. So geriet das Modell in Vergessenheit; ein typisches Schicksal von Managementmoden.

Mit jedem neuen Managementkonzept kommt mehr Lametta an den Baum der Organisationsprinzipien, so kann man die These von Kühl zuspitzen. Seit dem späten 19. Jahrhundert sind die Grundprinzipien bekannt und lassen sich – wie Kühl eindrucksvoll zeigt – sowohl mit nationalsozialistischer als auch mit demokratischer Weltanschauung koppeln. Ob die heutige Renaissance von Sinnorientierung (Purpose) und Gemeinschaftsidee (Teamidentität) im agilen Diskurs, auch in der Sozialwirtschaft, per se ein politisches Risiko darstellt, lässt Kühl im knappen Schlusskapitel anklingen. Diese Schlussfolgerung kommt überraschend, steht sie doch im Widerspruch zu Kühls eigenen Befunden.

Gerade weil Organisationsprinzipien in wechselnden ideologischen Gewändern auftreten können, verdient ihre historische Entzauberung Aufmerksamkeit; nicht nur im Rückblick, sondern auch mit Blick nach vorn. Kühls Studie leistet hier einen wichtigen Beitrag: analytisch präzise, historisch geschärft, ideologiekritisch. Dass er selbst zum Schluss vor den potenziellen politischen Implikationen einer sinnorientierten Führungsrhetorik warnt, bleibt ambivalent und regt zur Debatte an. Die Provokation des Buches liegt gerade darin: uns nicht nur das alte Lametta als solches zu zeigen, sondern auch das neue kritisch zu befragen, bevor es glitzert.

 

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