Ein Blick hinter die Kulissen der Künstlichen Intelligenz
Künstliche Intelligenz prägt längst unseren Alltag – doch in der Sozialwirtschaft schwankt der Blick auf sie zwischen Heilsversprechen und Untergangsszenario. Die renommierte KI-Forscherin Kate Crawford bietet in ihrem Buch eine eindrucksvolle Weltreise durch die verborgenen Schichten dieser Technologie: Sie zeigt, wo KI entsteht, wer dafür arbeitet, welche Ressourcen sie frisst und wie sie unsere Welt verändert.
Die Rezension ist zuerst unter folgendem Titel in der ORIENTIERUNG 1/2025 (S. 47) erschienen: Die Entzauberung.
Künstliche Intelligenz (KI) ist aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. In der Sozialwirtschaft wird sie entweder als Allzwecklösung gegen Arbeitskräftemangel und Bürokratisierung oder als Bedrohung der Menschlichkeit gesehen. Die international anerkannte KI-Forscherin Kate Crawford entwirft in ihrem Buch eine globale Landkarte der Künstlichen Intelligenz. Sie kartographiert die unterschiedlichen Gesteinsschichten, Erhebungen sowie Klima- und Vegetationszonen dieser Technologie und bietet einen gut erzählten Atlas, der hinter die utopischen und dystopischen Vorstellungen dieser gottgleichen Technologie blickt.
Statt eines mühsamen Atlanten erwartet die Leser:innen ein spannender Reisebericht, der den Planeten Erde in den Blick nimmt und den Raubbau an der Natur nicht verschweigt. Crawford beleuchtet die Ausbeutung der Rohstoffe und die damit verbundenen Umweltverschmutzungen. Sie erkundet die globale Arbeitswelt und besucht moderne Tagelöhner in den Bergwerken sowie in der Digitalindustrie. Meisterhaft entmythologisiert sie den Zauber der Daten, indem sie aufzeigt, wie und wozu Daten gestohlen und kommerzialisiert werden. Ebenso schaut sie hinter die wissenschaftlichen Modelle der Klassifizierungen und legt die Fehlschlüsse des „affective computing“ offen. Schließlich erzählt sie anschaulich von der Entstehung der KI im militärischen Kontext und von der Vernetzung der militärischen mit der zivilen KI-Nutzung.
Zum Schluss ihrer KI-Weltreise schreibt Crawford: „Künstliche Intelligenz ist keine objektive, universelle oder neutrale Computertechnik, die Entscheidungen ohne menschliche Anleitung trifft. Ihre Systeme sind vielmehr in soziale, politische, kulturelle und ökonomische Welten eingebettet und von Menschen, Institutionen und Imperativen bestimmt …“ (S. 229). Indem Crawford die KI entzaubert und als menschengemachte, politische und ökonomische Macht sowie als ausbeuterische Industrie darstellt, holt sie diese Technologie aus dem Reich der Illusion auf den Boden der Tatsachen zurück. KI ist weder eine Allzwecklösung noch eine allmächtige Bedrohung. Sie kann unideologisch in ihren Möglichkeiten, Grenzen und mit ihren planetarischen Auswirkungen genutzt und gesteuert werden – auch in der Sozialwirtschaft.
Kate Crawford (2024): Atlas der KI. Die materielle Wahrheit hinter den Datenimperien. München: C.H. Beck Verlag