Meine Top Five: Bücher 2025
Im Rückblick auf das Lesejahr 2025 habe ich überlegt, was waren die fünf Bücher, die mich am meisten gefesselt, inspiriert, erfreut oder herausgefordert haben. Hier präsentiere ich nun meine Auswahl an Büchern, die ich uneingeschränkt weiterempfehle.
Katja Oskamp, Marzahn Mon Amour. Geschichten einer Fusspflegerin
Mir wurden die Erzählungen im Frühjahr empfohlen und als Beispiel für besonders gelungene Porträts auf die Bücherliste geschrieben. Noch am selben Tag habe ich das Bändchen in einer Braunschweiger Buchhandlung gekauft. Katja Oskamp, die Autorin, fängt in ihren Vierzigern neu an, nachdem ihr das Leben „fad geworden“ war. Sie wurde Fußpflegerin im Berliner Stadtteil Marzahn. In dem Erzählband, der 2019 erschienen ist, porträtiert sie in kurzen, einfühlsamen Episoden ihre meist älteren Kundinnen und Kunden. Die Einblicke in deren Lebensgeschichten, die Sorgen und Hoffnungen werden mit viel Empathie und Humor beschrieben. Besonders gut gefällt mir, wie es Katja Oskamp gelingt, die einzelnen Persönlichkeiten ohne Vorurteile und frei von Klischees zu zeichnen. Nachdem ich die Geschichten gelesen hatte, begegnete mir die Verfilmung dieser Porträts für die ARD (2025). Schon die erste Folge offenbarte, dass es nicht gelungen war, die Sprache, die Menschenliebe, den Tiefgang der Geschichten in das Genre Film zu transformieren.
Rónán Hession, Leonard und Paul. Roman
Leonard und Paul ist der Debütroman des irischen Musikers und Schriftstellers Rónán Hession aus dem Jahr 2019. Entdeckt habe ich ihn erst 2025. Mich beeindruckt, wie dicht, poetisch und zugleich nüchtern Hession von der Freundschaft zweier Männer erzählt, die ein unauffälliges Leben führen. Leonard und Paul verbringen viel Zeit miteinander: Sie spielen Brettspiele, führen viele Gespräche und halten an Gewohnheiten fest. Diese Routinen geben ihrem Alltag Struktur und Halt.
Leonard lebt nach dem Tod seiner Mutter allein und arbeitet als Autor von Kinderenzyklopädien. Paul wohnt noch bei seinen Eltern, übernimmt Gelegenheitsjobs – unter anderem als Aushilfspostbote – und fügt sich mit stiller Selbstverständlichkeit in das Familienleben ein.
Der Roman konzentriert sich auf kleine Veränderungen. Leonard verliebt sich in eine Kollegin und beginnt, sich selbst anders wahrzunehmen. Paul wird durch die Hochzeit seiner Schwester mit der Frage nach seiner Eigenständigkeit konfrontiert. Ihre Freundschaft bleibt dabei der Bezugspunkt, an dem sich beide orientieren. Ohne große Ereignisse zeigt der Roman, dass Entwicklung oft in kleinen Schritten geschieht.
Mich hat besonders die Genauigkeit beeindruckt, mit der dieser unspektakuläre Alltag beschrieben wird. Es passiert wenig und gerade darin liegt wohl das Glück von Leonard und Paul.
Wolf Haas, Wackelkontakt. Roman
Wackelkontakt von Wolf Haas ist ein Roman, der 2025 erschienen ist und auf den ich durch Rezensionen in der Süddeutschen Zeitung und der ZEIT aufmerksam geworden bin. Der Roman erzeugt genau das, was sein Titel ankündigt. Im Zentrum steht Franz Escher, ein Trauerredner, der in seiner Wohnung sitzt und auf den Elektriker wartet. Um die Zeit zu überbrücken, liest Escher einen Roman.
Der Elektriker, der schließlich kommt, heißt Elio Russo. Er lebt unter neuem Namen, steht unter dem Schutz eines Kronzeugenprogramms und ist mit einer Frau verheiratet, die ihre eigene Vergangenheit mit bemerkenswerter Gelassenheit behandelt. Auch er liest einen Roman, der von einem Franz Escher handelt, der auf einen Elektriker wartet. Diese Geschichte verschränkt sich zunehmend mit Eschers Lektüre und Lebenswelt. Es ist ein Roman im Roman, dessen Ebenen sich verschieben, spiegeln und ineinander verhaken.
Je tiefer ich im Roman steckte, desto weniger klar war, auf welcher Erzählebene ich mich gerade befand. Genau darin liegt der Reiz. Der Roman produziert selbst jenen Wackelkontakt, von dem er erzählt. Sprachlich ist das virtuos und zugleich erstaunlich leichtgängig gemacht, spielerisch, ohne je angestrengt zu wirken. Ein kluger Roman, der Verunsicherung erfahrbar macht.
Florian Illies, Wenn die Sonne untergeht. Familie Mann in Sanary
Wenn die Sonne untergeht. Familie Mann in Sanary von Florian Illies (2025) erzählt vom Sommer und Herbst 1933, als Sanary-sur-Mer für viele deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller zum Zufluchtsort vor dem Nationalsozialismus wurde. Diese Nacherzählung der Familiengeschichte der Manns, mit Rückblicken bis ins Frühjahr, musste ich unbedingt lesen. Zum einen, weil wir unseren Sommerurlaub in Sanary verbracht hatten und ich gut nachempfinden konnte, was die Manns dort erlebten: das Fischerdorf, das Licht, das Meer, das Klima, den Rosé, das Essen. Im Reiseführer hatte ich vom Exil der deutschen Literaten gelesen, saß in ihren Cafés, die heute nur noch touristisch wirken.
Zum anderen, weil Thomas Mann ein Schriftsteller ist, den ich immer wieder mit Begeisterung lese. In Sanary arbeitete er an den Joseph-Romanen weiter, die ich sehr schätze.
Illies beschränkt sich in seiner Erzählung nicht auf den „Zauberer“. Auch die Kinder – Erika, Klaus, Golo und die anderen – werden in feinen Strichen porträtiert, mit ihren Eigenheiten, Spannungen und politischen Haltungen. So entsteht ein lebendiges Bild des Familienverbands im Exil, zwischen Alltag, Unsicherheit und geistiger Arbeit. Florian Illies holt Geschichte durch Geschichten nah an den Leser, die Leserin heran.
Auf der Frankfurter Buchmesse konnte ich das Buch hinter Glas sehen, aber noch nicht als Erinnerungsstück erwerben. Es erschien erst eine Woche später im Buchhandel.
Carsten Schermuly, Die Psychologie der Macht. Wie sie uns und das Zusammenleben prägt
Die Psychologie der Macht (2025) von Carsten Schermuly hat mich besonders angesprochen, weil ich mich als Geschäftsführer eines Sozialunternehmens täglich mit Macht befasse: mit formaler Macht, mit Einfluss und mit der Frage, wie Macht in Organisationen verteilt und für Mitarbeitende zugänglich gemacht werden kann. Schermuly beschreibt Macht psychologisch: als soziale Energie, die Menschen verändert und Organisationen prägt.
Die Lektüre hat meine eigene Auseinandersetzung mit Organisations- und Führungsmodellen vertieft, insbesondere die Beschäftigung mit kollegialer Führung. Das Buch habe ich gleich nach dem Erscheinen im Frühjahr für die Zeitschrift Sozialwirtschaft rezensiert (Heft 3/2025, S. 41-42). Meine Rezension ist zugleich ein Essay geworden, in dem ich Schermulys Überlegungen durchdenke. Sein Plädoyer für eine empowermentorientierte Führung überzeugt mich: Empowerment ist für mich eine zentrale Voraussetzung für verteilte Führungsarbeit, weil Macht nicht abgeschafft, sondern bewusst geteilt und reflektiert ausgeübt werden muss.