Die Plattformökonomie in der Sozialwirtschaft

Die Plattformökonomie in der Sozialwirtschaft

Eine kurze Einführung

© iStock.com/lucielang

Die Digitalökonomie erfasst zunehmend auch soziale Dienstleistungen. So bilden sich Plattformen heraus, auf denen die sozialen Dienstleistungen auffindbar und buchbar sind sowie administriert werden. Ein solches Geschäftsmodell basiert auf einer Fülle personenbezogener und organisationaler Daten, die von Algorithmen gefiltert, sortiert und so nutzbar gemacht werden. Der Beitrag führt grundlegend in das Geschäftsmodell ein und beleuchtet einige Chancen und Risiken für die Sozialwirtschaft.

 


Die Plattformökonomie hat in den letzten Jahren eine Revolution in der Geschäftswelt ausgelöst, die sowohl traditionelle als auch neu entstehende Branchen erfasst hat. Digitale Geschäftsmodelle sind in verschiedenen Branchen zu finden und folgen vier grundlegenden Prinzipien: Kundenfokussierung und Kundeninteraktion (Customer Experience), Datensammlung und Datenauswertung (Big Data), schnelle Skalierungsfähigkeit sowie Marktbeherrschung (Monopolisierung). Im Gegensatz zum klassischen linearen Modell, bei dem ein Unternehmen ein Produkt oder eine Dienstleistung entwirft, herstellt und vertreibt, orientiert sich das digitale Geschäftsmodell an den Kundenbedürfnissen und gestaltet die Wertschöpfungsrichtung von außen nach innen, wodurch eine iterative und vernetzte Gestaltung entsteht.

Die Plattformökonomie fokussiert sich nicht länger primär auf Produkte und Dienstleistungen, sondern orchestriert ein digitales User-Ökosystem. Dabei handelt es sich um einen virtuellen Lebensraum, in dem vielfältige Interaktionen und Verbindungen stattfinden, um Lösungen für Problemstellungen oder Interessenlagen anzubieten. Akteure in diesem Lebensraum agieren in verschiedenen Rollen und werden gleichermaßen von der Plattform angesprochen, darunter Kunden, Dienstleister und Produzenten. Die Komplexität steigt, da die User-Typen mehrdeutig bleiben und gleichzeitig verschiedene Rollen einnehmen können. Somit werden sämtliche User von Beginn an in die Wertschöpfungsschleifen einbezogen, und die Güter werden so gestaltet, dass sie durch Ingebrauchnahme und Teilung ihren Wert steigern. Die Plattform bietet eine Infrastruktur in Form eines digitalen Marktplatzes und agiert gleichzeitig als System, Programm und Regelwerk. Durch die Verwendung von Algorithmen verfügt die Plattform über eine enorme Kontrollmacht, was sie zu einem digitalen Gatekeeper sowohl für Angebote als auch für die Nachfrage macht. Personalisierte Feedbackschleifen ermöglichen Empfehlungen an den User, die auf den akkumulierten Bewertungen des Ökosystems basieren und das Verhalten auf der Plattform beeinflussen. Diese wechselseitigen Feedbackschleifen verstärken den sogenannten Pull-Effekt und tragen zur weiteren Marktdominanz der Plattformen bei.

Die digitale Plattformökonomie hat mächtige Intermediäre hervorgebracht, die ihre Vermittlungsfunktion in Zeit und Raum unbegrenzt skalieren können. Dies wird ermöglicht durch ein effizientes Datenmanagement und eine ausschließlich virtuelle Infrastruktur. Die Plattformen bieten Leistungen modularisiert als unabhängige Pakete an und ermöglichen es den Usern, unterschiedliche Module verschiedener Dienstleister nach Bedarf zu kombinieren. Dies geschieht mithilfe von Application Programming Interfaces (APIs), die einen externen Zugriff und die gewünschte Interaktion ermöglichen. Durch Kooperationen mit Wettbewerbern können Plattformen eine integrierte Modularität erzeugen und Kooperationsrenten erzielen. Dieses Phänomen wird als "Coopetition" bezeichnet, eine gleichzeitige Kooperation und Konkurrenz, die eine produktive Kraft der Wertschöpfung darstellt.

Geoffrey Parker und andere (2017) haben förderliche und hemmende Rahmenbedingungen für die Plattformisierung von Branchen identifiziert. Plattformen sind besonders attraktiv in Branchen, in denen Informationen im Mittelpunkt der Wertschöpfung stehen und in denen es Skalierungsbarrieren durch menschliche Intermediäre oder fragmentierte, lokale Märkte gibt. Plattformen können auch in Branchen erfolgreich sein, in denen Informationsasymmetrien den fairen Handel erschweren. Gleichzeitig werden digitale Transformationen in Branchen mit starken gesetzlichen Regulierungen, hohen Kosten für Fehler und ressourcenintensiven Geschäftsfeldern eher behindert.

Die Sozialwirtschaft scheint von dieser digitalökonomischen Disruption auf den ersten Blick nicht so stark betroffen zu sein. Der Digitalisierungsgrad der Leistungen ist noch gering, aber gleichzeitig gibt es große Informationsasymmetrien zwischen den Leistungserbringern und den Leistungsträgern. In der Sozialwirtschaft haben Leistungserbringer und Leistungsträger relevante Informationen über Hilfesuchende, die sie auf Nachfrage und interessegeleitet zur Verfügung stellen. Die fragmentierte Struktur der Sozialwirtschaft stellt einerseits eine förderliche Bedingung dar, da Plattformen diese Fragmentierung durchbrechen können und den Nutzern eine vereinheitlichte und digitale Landschaft bieten können. Andererseits ist die Sozialwirtschaft stark durch gesetzliche Regulierungen und hohe Anforderungen an die Leistungserbringung geprägt, was die Plattformisierung erschweren kann.

Es gibt bereits Beispiele für Plattformen in der Sozialwirtschaft, wie betreut.de und pflegix.de, die haushaltsnahe Dienstleistungen und grundpflegerische Leistungen vermitteln. Diese Plattformen bieten Chancen für eine stärkere Selbstbestimmung und Teilhabe der Nutzer, erfordern jedoch auch eine kritische Auseinandersetzung mit Algorithmen und ihrer möglichen Manipulation. Die Verdinglichung von Hilfeleistungen durch Plattformen und die Verwendung von Metriken und Scorings stellen ebenfalls Risiken dar, da soziale Dienstleistungen komplexe Beziehungsgeflechte abbilden und nicht einfach in Zahlen und Bewertungen übertragbar sind.

Die Plattformisierung der Sozialwirtschaft könnte auch Auswirkungen auf die Rollen von Leistungserbringern und Leistungsträgern haben. Plattformen könnten eine zunehmende Rolle bei der Anbahnung, Vermittlung und Abrechnung von sozialen Dienstleistungen spielen und so die Steuerungsmöglichkeiten der Leistungsträger einschränken. Hierbei ist es wichtig, die Souveränität und Selbstbestimmung der Nutzer zu gewährleisten und gleichzeitig die professionelle Hilfeleistung angemessen zu berücksichtigen.

Die Plattformökonomie in der Sozialwirtschaft stellt eine komplexe Gemengelage aus Chancen und Risiken dar. Es ist wichtig, diese Herausforderungen zu erkennen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die den Bedürfnissen und Interessen der Nutzer*innen gerecht werden und gleichzeitig eine demokratische und ethische Steuerung der Plattformen gewährleisten. Die Plattformökonomie bietet Potenziale für eine effizientere und transparentere Organisation sozialer Dienstleistungen, aber gleichzeitig müssen auch die Risiken hinsichtlich des Datenschutzes, der Fairness und der Diskriminierung kritisch betrachtet werden. Eine partizipative und inklusive Gestaltung der Plattformen ist von großer Bedeutung, um eine menschenzentrierte und sozial gerechte Transformation zu ermöglichen.

Weiterführende Literatur

Geyer, Christian (2020): Hilfe als Ware auf digitalen Marktplätzen? Überlegungen zu einer realistischen Utopie zwischen Coopetition und Commons. In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik 21/1, 34-61.

Parker, Geoffrey G./VanAstyne, M. W./Choudary, S. P. (2017): Die Plattform-Revolution. Von Airbnb, Uber, PayPal und Co. Lernen: Wie neue Plattform-Geschäftsmodelle die Wirtschaft verändern, Frechen: mitp Verlag.

 

Zurück