Rede Jahresempfang Toleranz, Vielfalt und Demokratie

Toleranz, Vielfalt und Demokratie. Eine Rede

Rede auf dem Jahresempfang Bathildisheim 2024

Auf dem Jahresempfang 2024 des Bathildisheims ging es darum, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Seyran Ateş, Rechtsanwältin und Imamin, Publizistin und Aktivistin ist in ihrer Keynote engagiert für Toleranz, Vielfalt und Demokratie eingetreten. Dabei hat sie auch die Schattenseiten der offenen und liberalen Gesellschaft ausgeleuchtet und sich für eine wehrhafte Demokratie ausgesprochen.

In meiner Begrüßungsrede, die hier nachgelesen werden kann, plädiere ich leidenschaftlich für die universale Wahrheit, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist.


 

Sternstunden

Liebe Freundinnen und Freunde der Demokratie, herzlich willkommen!

Wir freuen uns, dass Sie heute Abend unserer Einladung gefolgt sind und uns die Ehre erweisen. Und wir begrüßen Sie als unsere Ehrengäste, die Sie aus Politik, Kirche, Sozialwirtschaft, Wirtschaft, Sozialverwaltung und der Zivilgesellschaft kommen.

Wir begrüßen Sie zu einem Fest der Toleranz, einem Fest der Vielfalt und einem Fest der Demokratie. Wir wollen mit Ihnen die Grundfesten unserer Gesellschaft feiern und über das nachdenken, was unser Zusammenleben im Innersten zusammenhält. Ganz im Sinne der Aufklärung nach Immanuel Kant gilt dabei: Selber denken! Das eigene Nachdenken eben nicht an den Kleiderbügel der Konventionen hängen. Nicht dasjenige denken, was schon immer als richtig galt, sondern der Sache kritisch auf den Grund gehen. Und auch dann mit dem Denken nicht Halt machen, wenn es den eigenen Pfründen, Sichtweisen und Annehmlichkeiten an den Kragen geht. Ein eigenständiges Nachdenken, eine radikale Freiheit im Denken führt aus der Fremdbestimmung in die Selbstbestimmung. Und wenn das für mich gilt, dann muss es auch für alle anderen gelten.

In der Geschichte der Menschheit hat es solche Sternstunden des Selberdenkens geben. In diesen Sternstunden wurde eine fundamentale Wahrheit erkannt, die Toleranz, Vielfalt und Demokratie erforderlich macht. An drei solcher Sternstunden will ich kurz erinnern.

Die erste Sternstunde ist schon 2.580 Jahre alt, so ungefähr. Es handelt sich um den Schöpfungsbericht aus dem 1. Buch Mose, im ersten Kapitel. Da heißt es: “Gott schuf den Menschen als sein Abbild. Als Mann und Frau schuf er sie.”

Die zweite Sternstunde ist die Veröffentlichung der Unabhängigkeitserklärung der englischen Kolonien in Nordamerika im Jahr 1776. Dort heißt es:

“Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören.”

Und die dritte Sternstunde ist die Verabschiedung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, die sich in diesem Jahr zum 75. Mal jährt. Im Artikel 1 halten die Mütter und Väter des Grundgesetzes die absolute Wahrheit fest: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.”

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

das sind Sternstunden der Menschheit. Sie beschreiben eine Wahrheit, auf der unser menschliches Zusammenleben fußt.

Alle Menschen, ohne Ausnahme, sind gleich geschaffen, haben die gleiche Würde und die gleichen Rechte. Und zwar unabhängig ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihres Alters oder ihrer Religion. Im Grundgesetz wird nicht von der Würde deutscher Staatsbürger gesprochen und die Unabhängigkeitserklärung spricht nicht von den gleichen Rechten, die weiße Männer in Nordamerika haben. ALLE Menschen haben die gleichen Rechte, haben das gleiche Ansehen, und allen soll die gleiche Achtung zuteilwerden. Und zwar aus einem einzigen Grund: Weil sie Menschen sind.

Dass das nicht immer selbstverständlich ist, erleben wir auch in diesen Tagen. Wir erleben, wie die fundamentale Wahrheit, dass alle Menschen frei geschaffen sind, verzwergt und vergessen wird. Wie die Würde aller Menschen mit Füßen getreten wird, wenn AfD Politiker Menschen mit Behinderung liebend gerne exkludieren wollen, um sie angeblich bestmöglich zu versorgen. Wie die Würde eines jeden Menschen in Frage gestellt wird, wenn über Remigration von Menschen anderer ethnischer Herkunft nur mal laut nachgedacht wird. Wie die Würde aller Menschen missachtet wird, wenn gezielt Verschwörungstheorien und Desinformationen in Umlauf gebracht werden, um das Vertrauen in die Demokratie, die Wissenschaft und die freie Presse zu zerstören.

Doch die Sternstunden bleiben! Mit Stefan Zweig können wir sagen: Es sind Sternstunden, “weil sie leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht ... überglänzen.” So bleibt die Wahrheit trotz aller Widrigkeiten gültig: Die Würde jedes Menschen ist immer und überall unantastbar.

Wir als Bathildisheim wollen für diese Würde aller Menschen einstehen:

  • in den alltäglichen und professionellen Beziehungen unserer Leistungsangebote.
  • in unseren Organisationsstrukturen und mit unserem Führungshandeln.
  • in unserem sozial- und gesellschaftspolitischen Engagement für eine inklusive und tolerante Gesellschaft.

So auch heute Abend. Mit Ihnen. Und mit Seyran Ates, unserer Keynote Speakerin. Mit Frau Ates haben wir eine Persönlichkeit gewonnen, die für dieses Selberdenken der Aufklärung steht. Frau Ates ist Rechtsanwältin und Imamin, Publizistin und Aktivistin. Sie kämpft mit dem scharfen Schwert des Denkens und der Argumente für die Würde eines jeden Menschen. Und sie tut das, was sie denkt. So zum Beispiel in der von ihr mitgegründeten Ibn-Rushd-Goethe Moschee in Berlin Moabit. Wir dürfen uns auf ihre Überlegungen, Erfahrungen und Deutungen freuen. Und zwar deshalb, weil sie uns was zum Denken geben. Herzlich willkommen, Seyran Ates.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Vielfalt,

neben dem Vortrag gibt uns auch die Ausstellung “Toleranz, Vielfalt und Demokratie” Stoff zum Selberdenken. Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben über das Thema unseres Empfangs nachgedacht und ihre Gedanken kreativ übersetzt. Die Kunstwerke können Sie im Seminarraum, dort hinten, wahrnehmen. Und ich freue mich, dass einige der Künstler:innen unter uns sind.

Kunst ist eine Ausdrucksform. Die Kundgebung am 20. April auf dem Rathausplatz in Bad Arolsen ist eine andere. Wir sind als Bathildisheim dabei, um Gesicht zu zeigen für Toleranz, Vielfalt und Demokratie. Der Rabbiner Heschel hat einmal davon gesprochen, dass man auch mit den Beinen beten könne. Und er meinte damit, dass Menschen sich aufmachen und aufstehen, um für den Frieden zu demonstrieren. So laden wir Sie ein, machen Sie sich am 20. April auf, kommen Sie mit uns zum Rathausplatz und treten Sie ein für eine vielfältige, tolerante und demokratische Gesellschaft. Beten Sie mit ihren Beinen.

Und heute Abend können Sie mit Ihrem Verstand dem Schöpfergott und ihren Mitmenschen die Ehre geben, indem sie selber über die unverbrüchliche Wahrheit nachdenken, dass alle, wirklich alle Menschen die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben.

Ich wünsche Ihnen einen inspirierenden Abend. Herzlich willkommen.

 

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